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Freitag, 9. November 2012

ILS


Ich liebe Briefe, bei denen im Sichtfeld in mikroskopischer Schrift irgendeine dubiose Adresse steht, die zu einer noch dubioseren Firma gehört. Ich mag solche Nachrichtenumschläge. Sie haben den großen Vorteil, dass man sie erst gar nicht öffnen muss. Man nimmt eine Lupe, schaut auf den Text im Sichtfeld, wird erneut von dem Die-Könnens-Auch-Nicht-Sein-Lassen-Erlebnis überfallen, schüttelt für ein paar Sekunden in einem Schwall von vollkommenem Unverständnis seinen Kopf, kommt zu dem Schluss, dass gerade solche wichtigen Meldungen den Briefüberbringern ihren Job sichern und tritt den Gang zum Mülleimer an. Man spart sich langwieriges Aufreißen und braucht nicht einen Text zu sehen, den man in exakt dieser Form schon tausendmal gesehen hat.

Manchmal, wenn ich abends nachhause komme, liegt wie durch Geisterhand ein unscheinbar aussehender Brief auf meinem Platz am Tisch. Er könnte alles beinhalten. Also schaue ich erstmal völlig neutral und regungslos diesen Informations-Transporteur an. Wenn ich dann allerdings in illegaler Mikroschrift den Text „ILS – Institut für Lernsysteme“ sehe, weiß ich Bescheid. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich dieses Teil schon vor meinen Augen hatte. Die ersten Male habe ich aus reiner Neugier den ganzen Inhalt betrachtet. Ein durchaus interessanter Text mit den besten Versprechen für eine erfolgreiche Zukunft. Doch von Lektüre zu Lektüre erhärtete sich ein schrecklicher Verdacht – der Autor des Textes muss in einer schon lange andauernden Schreibblockade stecken. Und wohl nur so ist zu erklären, dass die verschiedenen Versionen, wenn ich sie denn alle noch hätte, erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen würden. Ich glaube, wenn ich für 10 Jahre nicht mehr zuhause auftauchen und schlussendlich mit meinen sieben Sachen über der Schulter gebündelt zurück stapfen würde, sähe ich in der Küche einen gigantischen weißen Berg, vergleichbar mit dem Tagesgeschäft eines DSDS-Protagonisten in seiner kurzlebigen Amtszeit. Dieser Berg würde mit Sicherheit immer weiter anschwellen, würde ich den Absender nicht auf eine andere Fährte bringen oder meine Spuren geschickt verwischen.

Das ILS – Institut für Lernsysteme – ist neben der SGD - Studiengemeinschaft Darmstadt - eine der beiden großen Fernschulen mit Sitz in Hamburg. Irgendwann hatte ich mal die lustige Idee diesen Heft-Verschicker zu testen und wurde mit Bergen von abiturvorbereitendem Material überschüttet. Neben der Schule las ich nun also in diesen Heften, kreuzte Kästchen an und schrieb kurze Antworten auf noch kürzere Fragen. Doch die Testphase war irgendwann vorbei und da ich mit meinem Hauptberuf bei Leibe genug zu tun hatte, ließ ich es damit gut sein.



Freundlich wie sie sind erinnern sie mich seitdem immer wieder an die gute alte Zeit und dadurch brauche ich ein Viertel meiner Briefe erst gar nicht zu öffnen. Danke ILS! 

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