Was ist
Nationalstolz? Der Glaube an das eigene Land, eine Vergötterung der eigenen
Nationalität, die Stellung des eigenen Landes über alles andere, selbst mit
Mitteln des Krieges?
Ich
selbst habe damals, als ich noch jung war, dieses Gefühl, was ich längst nicht
mehr in dieser Form spüre, noch wahrgenommen. Das ursprüngliche Gefühl, welches
frei von Fanatismus war. Einfach der Glaube daran, dass das eigene Land einen
mit Stolz erfüllt.
Ich
erinnere mich noch sehr gut an einen Tag, als ich noch jung war – vielleicht 12
oder 13 –, an dem ich von der Schule nachhause kam. Ich bin damals an der
Haltestelle, die meine Endstation war, aus dem Bus gestiegen. Als ich den Berg
hinunter Richtung zuhause ging, kamen mir ein paar Jugendliche entgegen, die
wohl in etwa in meinem Alter waren. Es waren wohl Russen, wie ich später
herausfand. Einer von ihnen versuchte, mich zu provozieren und rempelte mich im
Vorbeigehen an. Ich versuchte, die Provokation nicht anzunehmen und ging
einfach normal weiter, doch die Jugendlichen drehten sich um und beschimpften
mich, sagten: „Warum rempelst du uns an?“, „scheiß Deutscher! Was willst du?“
usw. Ich hielt mich zurück, sah sehr wohl, dass sie in der Mehrheit waren, auch
wenn mein Bruder noch dabei war. Ich riss mich zusammen und ließ das ganze über
mich ergehen, in der Hoffnung, dass sie von einem abließen und ihrer Wege
gingen. Irgendwann passierte dies auch. Sie hatten wohl das Mädchen, was bei
ihnen war, genug versucht zu beeindrucken. Ich ging mit meinem Bruder weiter,
war immer noch gefasst, doch als ich zuhause ankam, fiel all das von mir ab.
Ich brach in Tränen aus.
Am
meisten verletzte mich in diesem Moment wohl, dass sie mich ‚scheiß Deutscher‘
genannt hatten. Ich hatte ein Gefühl von Deutschland, einen Stolz auf das
eigene Land, den ich in diesem Moment spürte, wie nie zuvor, der in diesem
Moment verletzt worden war.
Ich
glaube, das ist das Gefühl von Deutschland, welches sehr wünschenswert ist, uns
immer noch schwer fällt, und schon gar nicht öffentlich nach außen getragen
wird.
In uns
allen steckt ein gewisser Nationalstolz. Wir lernen das Land schätzen, in dem
wir leben. Wir lernen schätzen, was wir haben, was wir für unsere Leistung
bekommen, unser tägliches Miteinander, unsere Werte, auch wenn wir dies als
Deutsche nicht zwangsläufig mit einem Patriotismus verbinden, diesen ausleben,
aber in dem Moment, wo jemand uns und unsere Nationalität beleidigt, spüren wir
sofort, dass dort etwas ist, was uns stolz macht und uns in unserer Ehre
krängt.
Es gibt
Nationen, die ihren Nationalgedanken weitaus inbrünstiger pflegen als unser
einer. Ein Paradebeispiel sind die Amerikaner, die keine Gelegenheit auslassen,
die Einzigartigkeit und besondere Rolle ihrer Vereinigten Staaten im globalen
Gefüge herauszustreichen. Als kühler Deutscher mag man hier oft den Kopf
schütteln und sich sagen: „die spinnen, die Amis!“ Vielen scheint dies fremd
und unangebracht, doch es schafft etwas, was sich sonst schwerlich erreichen
lässt, nämlich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit. Man
begreift sich als ein Ganzes, als eine Kette aus vielen Gliedern, die durch
gemeinsame Werte angetrieben wird. Dies mag natürlich auch extreme Auswüchse
haben, die einstweilen im Weltecho zu völligem Unverständnis führen, aber ich
glaube, gemeinsam gelebte Werte und eben diese Verbundenheit verhindern, dass
uns unsere Mitmenschen in unserem eigenen Land völlig egal sind.
Alle vier
Jahre ist dieses Phänomen in den Staaten zu beobachten. Nämlich immer dann,
wenn in einem gigantischen Tollhaus ein neuer Präsident gewählt wird. Gerade
erst wurden wir wieder Zeugen dieses Prozederes. Die ganze Welt nahm Anteil und
beobachtete ein Spektakel, was in unseren Breitengraden völlig undenkbar ist.
In einem in diesem Ausmaß noch nie da gewesenen Wahlkampf wurde mit Barack
Obama ein charismatischer Redner erneut zum Präsidenten gewählt der trotz
seiner liberalen und weltoffenen Haltung im gleichen Maß die uramerikanischen
Werte vertritt, wie sein traditionell konservativer Kontrahent Mitt Romney.
Diese patriotischen Salvenschüsse von großer Durchschlagskraft drücken eine
ureigene und durch nichts zu erschütternde Hingabe aus. Der Glaube daran, dass
das eigene Land fähig ist, Großes aus sich selbst heraus zu leisten, auch wenn
man sich immer eine gewisse Demut behalten sollte und nicht den Inselgedanken,
wie ihn Apple – ein amerikanisches Unternehmen – im Laufe der Jahre
perfektionierte, voranstellen sollte, der letztendlich nur ein Mittel der Selbstgeißelung
ist und einen im Glauben eines Heiligen von Gott auserwählten Volkes und den
daraus entstehenden Auswüchsen, gefährlich nah an jene fanatischen Terroristen
bringt, die man sich berufen sieht, in ihrer absoluten Boshaftigkeit zu
bekämpfen. Stolz und Fanatismus sind aus demselben Holz geschnitzt. Ein
Nationalstolz funktioniert nur, wenn er die eigene Unvollständigkeit
akzeptiert, die andere bereichern können. Ansonsten trennt ihn nichts von
seinem Bruder. Auch ein Handeln, was sich ausschließlich auf Gott beruft, hat unsere
Geschichte noch nie mit großem Stolz erfüllt.
Die
Italiener kann man ebenfalls als echte Patriotismusexperten betrachten, wobei ich diesen
eher einen Nationalstolz injizieren würde. Für mich ist Patriotismus eher etwas
sichtbares, etwas zählbares, etwas greifbares, wohingegen ich Nationalstolz
eher mit einem Gefühl verbinde. Patriotismus ist die Blüte des Nationalstolzes. Dies fällt schon bei der Zelebrierung der
Nationalhymne auf, die die Squadra Azzura in der Welt des Fußballs – zumindest
der europäischen – ihresgleichen suchen lässt. Der typische Italiener ist
vollkommen von sich überzeugt, davon, dass sein Land das allerbeste auf der
ganzen Welt ist. Er benutzt gern die allergrößten Superlative, um seine Nation
ganz oben auf dem Thron der Sympathie zu wissen. Er ist aber auch immer mit
einer gewissen Grundironie und Selbstreflexion ausgestattet, die ihm im Laufe
der Geschichte allerdings doch das ein oder andere Mal abhandengekommen ist.
Ich
erinnere mich an ein Beispiel, das zeigt, wie Nationalstolz auch zu Identifikation
beitragen kann: als ich vor ein paar Jahren in Verona war, befiel mich
irgendwann der Hunger. Meine nächstliegende Idee war, zum Türken zu gehen und
einen Döner zu essen – natürlich. Während ich den Laden betrat, sah ich die
beiden türkischen Verkäufer miteinander reden und war mir sicher, dass sie dies
nun auch in ihrer Muttersprache tun würden. Doch weit gefehlt – ich hörte nun
deutlich, wie sie auf Italienisch miteinander sprachen. So etwas ist in
Deutschland undenkbar.
Deutschland
ist immer noch davon besessen, den Nationalstolz zu verbergen und zu
unterdrücken. Ich glaube, dies hat mehr die Angst vor der Reaktion anderer, als
das eigene Selbstverständnis zum Grund. Dieser Prozess ist ein langer und
beschwerlicher und wird immer wieder durch die Verwirrungen radikaler Strömungen
in Zweifel gestellt. Meiner Meinung nach hemmt das Verleugnen der eigenen
Identität auch den herzlichen und respektvollen Umgang mit seinen Mitmenschen,
auf das Ganze bezogen: fehlendes Nationalgefühl ist nicht gerade förderlich für
die Integration. Womit wir bei einer ganz anderen – aber gar nicht so fernen –
Debatte wären.
Was ist
Nationalstolz? Für mich ist Nationalstolz das Gefühl, zu wissen, wer man ist
und sich dafür nicht schämen zu müssen. Das Bestreben, sich mit all denen
verbunden zu fühlen, mit denen man in seinem Heimatland zusammenlebt. Es ist
aber auch die Erkenntnis, dass man nur einer von vielen ist und nicht besser,
als all die anderen Menschen in all den anderen Ländern dieser Erde.
Was ist
Nationalstolz für dich?
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