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Sonntag, 11. November 2012

Nationalstolz

Was ist Nationalstolz? Der Glaube an das eigene Land, eine Vergötterung der eigenen Nationalität, die Stellung des eigenen Landes über alles andere, selbst mit Mitteln des Krieges?

Ich selbst habe damals, als ich noch jung war, dieses Gefühl, was ich längst nicht mehr in dieser Form spüre, noch wahrgenommen. Das ursprüngliche Gefühl, welches frei von Fanatismus war. Einfach der Glaube daran, dass das eigene Land einen mit Stolz erfüllt.

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Tag, als ich noch jung war – vielleicht 12 oder 13 –, an dem ich von der Schule nachhause kam. Ich bin damals an der Haltestelle, die meine Endstation war, aus dem Bus gestiegen. Als ich den Berg hinunter Richtung zuhause ging, kamen mir ein paar Jugendliche entgegen, die wohl in etwa in meinem Alter waren. Es waren wohl Russen, wie ich später herausfand. Einer von ihnen versuchte, mich zu provozieren und rempelte mich im Vorbeigehen an. Ich versuchte, die Provokation nicht anzunehmen und ging einfach normal weiter, doch die Jugendlichen drehten sich um und beschimpften mich, sagten: „Warum rempelst du uns an?“, „scheiß Deutscher! Was willst du?“ usw. Ich hielt mich zurück, sah sehr wohl, dass sie in der Mehrheit waren, auch wenn mein Bruder noch dabei war. Ich riss mich zusammen und ließ das ganze über mich ergehen, in der Hoffnung, dass sie von einem abließen und ihrer Wege gingen. Irgendwann passierte dies auch. Sie hatten wohl das Mädchen, was bei ihnen war, genug versucht zu beeindrucken. Ich ging mit meinem Bruder weiter, war immer noch gefasst, doch als ich zuhause ankam, fiel all das von mir ab. Ich brach in Tränen aus.
Am meisten verletzte mich in diesem Moment wohl, dass sie mich ‚scheiß Deutscher‘ genannt hatten. Ich hatte ein Gefühl von Deutschland, einen Stolz auf das eigene Land, den ich in diesem Moment spürte, wie nie zuvor, der in diesem Moment verletzt worden war.

Ich glaube, das ist das Gefühl von Deutschland, welches sehr wünschenswert ist, uns immer noch schwer fällt, und schon gar nicht öffentlich nach außen getragen wird.
In uns allen steckt ein gewisser Nationalstolz. Wir lernen das Land schätzen, in dem wir leben. Wir lernen schätzen, was wir haben, was wir für unsere Leistung bekommen, unser tägliches Miteinander, unsere Werte, auch wenn wir dies als Deutsche nicht zwangsläufig mit einem Patriotismus verbinden, diesen ausleben, aber in dem Moment, wo jemand uns und unsere Nationalität beleidigt, spüren wir sofort, dass dort etwas ist, was uns stolz macht und uns in unserer Ehre krängt.

Es gibt Nationen, die ihren Nationalgedanken weitaus inbrünstiger pflegen als unser einer. Ein Paradebeispiel sind die Amerikaner, die keine Gelegenheit auslassen, die Einzigartigkeit und besondere Rolle ihrer Vereinigten Staaten im globalen Gefüge herauszustreichen. Als kühler Deutscher mag man hier oft den Kopf schütteln und sich sagen: „die spinnen, die Amis!“ Vielen scheint dies fremd und unangebracht, doch es schafft etwas, was sich sonst schwerlich erreichen lässt, nämlich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit. Man begreift sich als ein Ganzes, als eine Kette aus vielen Gliedern, die durch gemeinsame Werte angetrieben wird. Dies mag natürlich auch extreme Auswüchse haben, die einstweilen im Weltecho zu völligem Unverständnis führen, aber ich glaube, gemeinsam gelebte Werte und eben diese Verbundenheit verhindern, dass uns unsere Mitmenschen in unserem eigenen Land völlig egal sind.
Alle vier Jahre ist dieses Phänomen in den Staaten zu beobachten. Nämlich immer dann, wenn in einem gigantischen Tollhaus ein neuer Präsident gewählt wird. Gerade erst wurden wir wieder Zeugen dieses Prozederes. Die ganze Welt nahm Anteil und beobachtete ein Spektakel, was in unseren Breitengraden völlig undenkbar ist. In einem in diesem Ausmaß noch nie da gewesenen Wahlkampf wurde mit Barack Obama ein charismatischer Redner erneut zum Präsidenten gewählt der trotz seiner liberalen und weltoffenen Haltung im gleichen Maß die uramerikanischen Werte vertritt, wie sein traditionell konservativer Kontrahent Mitt Romney. Diese patriotischen Salvenschüsse von großer Durchschlagskraft drücken eine ureigene und durch nichts zu erschütternde Hingabe aus. Der Glaube daran, dass das eigene Land fähig ist, Großes aus sich selbst heraus zu leisten, auch wenn man sich immer eine gewisse Demut behalten sollte und nicht den Inselgedanken, wie ihn Apple – ein amerikanisches Unternehmen – im Laufe der Jahre perfektionierte, voranstellen sollte, der letztendlich nur ein Mittel der Selbstgeißelung ist und einen im Glauben eines Heiligen von Gott auserwählten Volkes und den daraus entstehenden Auswüchsen, gefährlich nah an jene fanatischen Terroristen bringt, die man sich berufen sieht, in ihrer absoluten Boshaftigkeit zu bekämpfen. Stolz und Fanatismus sind aus demselben Holz geschnitzt. Ein Nationalstolz funktioniert nur, wenn er die eigene Unvollständigkeit akzeptiert, die andere bereichern können. Ansonsten trennt ihn nichts von seinem Bruder. Auch ein Handeln, was sich ausschließlich auf Gott beruft, hat unsere Geschichte noch nie mit großem Stolz erfüllt.

Die Italiener kann man ebenfalls als echte Patriotismusexperten betrachten, wobei ich diesen eher einen Nationalstolz injizieren würde. Für mich ist Patriotismus eher etwas sichtbares, etwas zählbares, etwas greifbares, wohingegen ich Nationalstolz eher mit einem Gefühl verbinde. Patriotismus ist die Blüte des Nationalstolzes. Dies fällt schon bei der Zelebrierung der Nationalhymne auf, die die Squadra Azzura in der Welt des Fußballs – zumindest der europäischen – ihresgleichen suchen lässt. Der typische Italiener ist vollkommen von sich überzeugt, davon, dass sein Land das allerbeste auf der ganzen Welt ist. Er benutzt gern die allergrößten Superlative, um seine Nation ganz oben auf dem Thron der Sympathie zu wissen. Er ist aber auch immer mit einer gewissen Grundironie und Selbstreflexion ausgestattet, die ihm im Laufe der Geschichte allerdings doch das ein oder andere Mal abhandengekommen ist.
Ich erinnere mich an ein Beispiel, das zeigt, wie Nationalstolz auch zu Identifikation beitragen kann: als ich vor ein paar Jahren in Verona war, befiel mich irgendwann der Hunger. Meine nächstliegende Idee war, zum Türken zu gehen und einen Döner zu essen – natürlich. Während ich den Laden betrat, sah ich die beiden türkischen Verkäufer miteinander reden und war mir sicher, dass sie dies nun auch in ihrer Muttersprache tun würden. Doch weit gefehlt – ich hörte nun deutlich, wie sie auf Italienisch miteinander sprachen. So etwas ist in Deutschland undenkbar.

Deutschland ist immer noch davon besessen, den Nationalstolz zu verbergen und zu unterdrücken. Ich glaube, dies hat mehr die Angst vor der Reaktion anderer, als das eigene Selbstverständnis zum Grund. Dieser Prozess ist ein langer und beschwerlicher und wird immer wieder durch die Verwirrungen radikaler Strömungen in Zweifel gestellt. Meiner Meinung nach hemmt das Verleugnen der eigenen Identität auch den herzlichen und respektvollen Umgang mit seinen Mitmenschen, auf das Ganze bezogen: fehlendes Nationalgefühl ist nicht gerade förderlich für die Integration. Womit wir bei einer ganz anderen – aber gar nicht so fernen – Debatte wären.

Was ist Nationalstolz? Für mich ist Nationalstolz das Gefühl, zu wissen, wer man ist und sich dafür nicht schämen zu müssen. Das Bestreben, sich mit all denen verbunden zu fühlen, mit denen man in seinem Heimatland zusammenlebt. Es ist aber auch die Erkenntnis, dass man nur einer von vielen ist und nicht besser, als all die anderen Menschen in all den anderen Ländern dieser Erde.

Was ist Nationalstolz für dich? 

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