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Samstag, 20. Oktober 2012

Die Macht der Musik

Während die Kohlensäure in einem Glas erkaltet, kann sich längst Staub über die Welt, wie wir sie heute kennen, gelegt haben. Es entschwindet alles so schnell. Jeder Tag schreitet voran, in der Hoffnung, seinem Nachfolger den Schneid abzukaufen. Die Globalisierung des Fortschritts in Perfektion. Durch ein einziges Update sind alte Gedankenmuster ausgetauscht, ein Geschäft einfach verschwunden, weil es nun eine neue Firma beherbergt, wissenschaftliche Theorien glatt überholt, Staaten geteilt, neu gegründet oder sogar am Rande des Ruins. Diktaturen fallen, während die Todeszahlen steigen und der Gedanke an Europa verliert seinen Wert, während Spekulanten sich einen goldenen Ast verdienen. Und ferne Entscheidungsträger verpacken unser aller Schicksal in vorzeigbare Codes. 

Man steht einfach nur noch da, und wünscht sich, dass sich nicht die ganze Welt innerhalb eines Tages komplett neu erfindet. Wir klammern uns an den Dingen fest, von denen wir hoffen, dass sie bleiben, eine feste Konstante im Wuselsalat bilden – bis dass der Tod uns scheidet.

Für mich ist die Musik eine dieser Konstanten. Die richtige Musik. Musik in ihrer reinen Ehrlichkeit. Diese leisen, schlichten, friedlichen, bedächtigen Worte sind nicht die Okzidentierung eines Lebensgefühls, sondern die Orientierung einer Sehnsucht, die Pfadfindung einer haltlosen Generation, eine Prämisse der Eigenartigkeit und zugleich der Weg der Demut und Achtung. Ein Drei-Minuten-Lied kann die ganze Schulzeit kompensieren – pflegte schon Bruce Springsteen zu fantasieren. Die Musik vereint Waffenbrüder und rührt Terroristen zu Tränen. Sie lässt das Herz hüpfen und die Beine tanzen. Sie steht dir bei in den Stunden der Verdammnis und ist Trostwerdung in den Minuten der Vergänglichkeit. Sie gibt jedem Land seinen eigenen Putz und verputzt die schäbigste Bruchbude. Sie gibt einer Party die Leichtigkeit und einer Hochzeit die Eleganz. Sie lebt von der Wirklichkeit und die Wirklichkeit lebt von ihr.

Für mich war Musik immer mehr als nur ein Beiwerk. Sie hat schon früh zu mir gesprochen, sich mit mir ausgetauscht. Und zweifelte ich auch schon oft an ihrem vitalen Zustand, so hat sie mich doch immer wieder von ihrer Lebendigkeit überzeugt. Sie war da, wo sie schien zu fehlen, auch wenn sie manchmal zu fehlen schien, wo sie da war. Sie strahlte in ihrem eigenen Kosmos der Unendlichkeit und ihre Unendlichkeit war das Verständnis der eigenen Ausschöpfbarkeit.

Ich habe schon immer einen stillen Konsens mit all den bedeutenden Musikern meines eigenen kleinen Planeten geführt. Sie sprachen zu mir durch ihre Lieder und ich verstand. Sie gaben mir das Gefühl, nicht alleine auf dieser Welt zu sein und ich fühlte die Tiefe, die sich in den Farben der Klänge und Worte zu einer eigenen Mystik verschmilzt. Ich war der kleine Prinz, auf der Suche nach dem Wesen der Dinge. Die Schläue des Fuchses erstreckt sich im Regenbogen des Mitfühlens und erst wenn du fühlst, dass etwas gut ist, kannst du es auch mit deinen Augen in seiner vollkommenen Stimmigkeit sehen.

Wenn die Musik eine Harfe wäre, dann wäre der Klang der Saiten das sanfte Streichen im Wind des Wohlwollens durch das die rauen und zerklüfteten Weiten zu blühen beginnen, durch das die harten Krusten der Eismeere der arktischen Gefilde ihre Unbarmherzigkeit verlieren, durch das die Explosionen des Donners wie das Schnurren eines zahmen Tigers klingen würden.

Wenn sie sich dir öffnet und dir ihr wahres Inneres anbietet und du es bis in dein Herz vordringen lässt, dann erkennst du ihren Wert und ihre Stärke. Sie hat viele Facetten. Ausdrücke der Freude, des Schmerzes, der Sorglosigkeit, der Empörung, der Ohnmacht, der Lebensfreude, der Verbitterung, der Verbundenheit, des Hasses, der Umarmung, der Gelassenheit, der Rastlosigkeit, um nur ein paar zu nennen. Wenn du sie verstehst, versteht sie dich. Egal in welcher Gemütslage du dich befindest.

All das, was sich hinter einfachen, poetischen Worten und doch in ihrer Gänze feinfädigen Kunstwerken voll von erwärmendem Glanz verbirgt, mögen ein paar kurze Fragen nicht an die Oberfläche spülen. Wenn sich die ganze Erfahrung eines Menschen in einem kurzen Text eröffnet, reißt dies den Kontinent der Menschwerdung vom Ödland der Inhaltslosigkeit. 

Erst wenn du verstehst, wirst du verstanden.

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